März 28, 2021

Zitate sollen Pressetexte und PR-Beiträge auflockern. Sehr oft bewirken sie genau das Gegenteil. Lesen Sie hier, wie Sie die Quotenkiller stoppen! 

Der Schweizer Carlo Imboden hat 2004 ein Verfahren der Leserforschung entwickelt, dessen Ergebnisse viele Redakteurinnen und Redakteure deutsch-sprachiger Tageszeitungen erschütterte: den Readerscan. Imboden wies nach, dass viele Texte so gut wie keine Leser finden.

Für eine Readerscann-Untersuchung bekommen 120 bis 400 repräsentativ ausgewählte Testleserinnen und Testleser einen Scanner in die Hand. Das Teil sieht aus wie ein elektronisches Fieberthermometer.

Damit markieren die Probanden dann mehrere Wochen lang jene Zeilen in ihrer Zeitung, in denen ihnen die Lust am Lesen vergeht. Ein Zentralrechner wertet die Markierungen aus und errechnet für jeden Text die Lesequote.

Manchmal liegt sie bei nicht einmal einem Prozent. ("Wie wir den Leser vergraulen" hat Carlo Imboden in einem lesenswerten Interview für "NZZ Folio" erklärt.) 

Die Gründe sind vielfältig: unglückliche Themenwahl, nichtssagende Fotos und Überschriften, falsche Platzierung im Blatt und im Layout, schwer verständliche Sprache etc.

Zudem deckt der Readerscan sehr spezifische sprachliche Mängel auf, die Leserinnen und Leser in Scharen vertreiben.

Wenn man sich die Stellen in Texten genauer ansieht, an denen viele Leserinnen und Leser gleichzeitig die Motivation verlässt, stößt man auf regelrechte Quotenkiller.

Und der effektivste dieser Quotenkiller sind Zitate.

Befund 1: Zitate vertreiben Leser, wenn sie nur Blabla enthalten

Wahrscheinlich hat man Ihnen beigebracht, Zitate in Ihre Pressetexte und PR-Beiträge zu schreiben. Weil das die Texte auflockere, lebendiger und authentischer mache.

Wie Readerscan-Studien zeigen, bewirken Zitate in vielen Fällen aber genau das Gegenteil. 

"Wir freuen uns, mit diesem Projekt einen Beitrag dafür zu leisten, dass ...", sagte Institutsleiterin Hinterhuber.

Egal, wozu Frau Hinterhuber und ihr Institut einen Beitrag leisten – dieses Zitat ist ein klassischer Quotenkiller.

Weil es absolut nichts Neues sagt.

Was Hinterhuber und ihr Institut geleistet haben, wissen die Leserinnen und Leser bereits aus den vorangegangenen Absätzen. Und, dass die Institutsleiterin sich darüber freut, können sie sich denken.

Zeitungen, Magazine, Pressemitteilungen und Websites sind voller solcher Blabla-Zitate.

"Die eigene Altersvorsorge selbst in die Hand zu nehmen und damit für die eigene Zukunft vorzusorgen, ist extrem wichtig. Aber auch Ihr Partner kann nicht nur finanziell, sondern auch ganz praktisch seinen Beitrag dazu leisten. Die Elternzeit zu teilen ist eine Bereicherung für die Beziehung mit den eigenen Kindern und unterstützt die Frau beim Wiedereinstieg“, ermutigte die Workshop-Leiterin die Teilnehmerinnen. 

Auch die gute Workshop-Leiterin sagt vier Zeilen lang nichts, was wir Leser uns nicht selbst denken könnten.

Ich hoffe, das nervt Sie genauso sehr wie mich! Und Sie ziehen daraus den einzig richtigen Schluss:

Zitieren Sie niemals Klischees! Klischee tötet Interesse. 

Übrigens ist es egal, ob Sie in direkter Rede zitieren oder in indirekter. Klischee bleibt Klischee – ob mit oder ohne Anführungszeichen. 

Befund 2: Zitate vertreiben Leser, wenn sie nicht authentisch sind

Besonders anfällig für Blabla-Zitate sind Presse- und PR-Texte. Denn Zitate helfen Pressesprecherinnen und PR-Leuten, ihren Auftraggebern mit wenig Aufwand zu gefallen.

Selbst wenn diese Auftraggeber nichts Nennenswertes geleistet haben, können wir sie prominent in unseren Texten vorkommen lassen – als Sprechblasen-Absonderer.

Wir legen ihnen einfach ein passendes Zitat in den Mund. Schon fühlen Sie sich gut verkauft. 

Aus Sicht des Publikums passiert genau das Gegenteil. Es zieht – völlig zu Recht – den Schluss: Dieser Mensch verströmt nichts als heiße Luft.

Manchmal treibt das Pflichtgefühl von PR-Texterinnen und Pressesprechern seltsame Blüten. Zum Beispiel dann, wenn sie ihre Auftraggeber im Chor sprechen lassen, um mit einem Aufwasch allen zu einem Auftritt im Text zu verhelfen: 

"Die hohe Motivation unserer Mitarbeiter ist eine wichtige Voraussetzung für unseren zukünftigen Erfolg", betonten die Geschäftsführer Otto Müller und Uwe Maier sowie der Vorsitzende des Aufsichtsrats Heiner Schulze.

Erstens ist auch das ein Blabla-Zitat. Und zweitens sollten Sie Ihr Publikum nicht für dumm verkaufen. Es ist doch höchst unwahrscheinlich, dass Müller, Maier und Schulze gleichzeitig ein und dasselbe sagen. 

Finger weg von solchen nicht authentischen Zitaten! Sie bringen die Assoziationsblase im Kopf Ihrer Leserinnen und Leser zum platzen – und werfen sie aus dem Text.

Ein ähnliches Problem tritt auf, wenn Sie Zitate in einem szenischen Kontext präsentieren, in dem sie nicht gefallen sind. 

... Eine Schreibtischlampe spendet dem 76-Jährigen Licht. (...) Dort sitzt er wie immer allein und repariert Schuhe, die keiner mehr braucht. Seine knochigen Finger führen die Nadel flink wie eh und je. "Manchmal fühle ich mich schon sehr einsam", seufzt der Schuhmacher...

Dieses Zitat ist in dieser Szene fehl am Platz! Zu wem sollte der alte Schuhmacher denn sprechen? Allein in seiner Werkstatt?

Leser reagieren nachweislich allergisch auf solche Ungereimtheiten. Leserinnen auch.

Verwenden Sie Zitate in Szenen nur dann, wenn sie authentisch sind und sich an explizit anwesende Personen richten!

"Es ist alles gesagt. Nur noch nicht von jedem."

Karl Valentin

Befund 3: Zitate vertreiben Leser, wenn sie lang sind und gehäuft auftreten

Ab der Mitte finden wir in Texten häufig viel mehr Zitate als in der Anfangsphase. Oft sind die Zitate in der zweiten Hälfte eines Textes auch deutlich länger.

Wie Imbodens Readerscan zeigt, steigen Leserinnen und Leser in solchen aneinandergereihten Monologen gerne aus.

Dass sich Zitate in der zweiten Texthälfte oft häufen, hat damit zu tun, dass wir Autorinnen und Autoren unser Faktenwissen bis dahin häufig verbraucht haben. Dann suchen wir verzweifelt nach Stoff, um den Text auf die geforderte Länge zu bringen. 

Schnell führt uns diese Suche zu den Notizen, in denen wir unsere Recherche festgehalten haben. Und was finden wir dort? Zitate. Schließlich haben wir mit allen möglichen Beteiligten und Expertinnen gesprochen.

Anstatt den Text durch Handlung voranzutreiben, hangeln wir uns nun von O-Ton zu O-Ton. Wir mutieren vom Autor zum Moderator, der nur noch von einem Zitat zum anderen überleitet. 

In vielen Fällen erfährt unser Publikum aus diesen Zitaten nichts Neues. Sie dienen einmal mehr nur dazu, Veranstalter, Projektpartner, Geldgeber und andere Stakeholder im Text vorkommen zu lassen. Siehe Befund 2!

Befund 4: Zitate vertreiben Leser, wenn sie den Text einleiten

"Also, der Maria Schell musste ich mal einen Schoppen holen. Und erst der Adorf!" Werner Weber hat viel zu erzählen und tut das auch gerne.

Nach diesem Zitat-Einstieg aus der "Main-Post" (Tageszeitung in Würzburg) haben 12,5 Prozent der Leserinnen und Leser die Lust am Text verloren.

Der Grund: Sie tappen von Anfang an im Dunkeln, können nicht mitarbeiten am Text. Anders als der Autor wissen sie nicht, wer hier mit wem worüber spricht. Kino im Kopf kann so nicht entstehen. 

Wer sind Maria Schell und wer ist der Adorf? (Den Jüngeren im Publikum werden diese Name kaum etwas sagen.) Und, wer zum Teufel, ist Werner Weber? Der einzige, der diese Fragen hier zu Beginn des Textes beantworten kann, ist der Autor.

Wir Leserinnen und Leser müssen hoffen, dass er uns im weiteren Verlauf einweiht. Wir hecheln dem Autor hinterher. Und weil das keinen Spaß macht, steigen viele aus. 

Daraus ergibt sich eine weitere Grundregel für Zitate in Presse- und PR-Texten: Stellen Sie eine neue Figur in Ihrem Text immer erst vor, und lassen Sie sie dann etwas sagen! 

So können Ihre Leser mitarbeiten. Sie erfahren erst, wer Werner Weber ist, und können sein Zitat deshalb viel besser einordnen.

Es gibt eine Ausnahme: Wenn ein Zitat die Botschaft Ihres Textes auf den Punkt bringt, ist es kein Fehler, den Text mit diesem Zitat zu beginnen.

Befund 5: Zitate vertreiben Leser, wenn sie nichts als Fakten enthalten

Viele Zitate sind aus Sicht unserer Leserinnen und Leser unnötig, weil sie die darin enthaltenen Fakten auch direkt von uns, den Autorinnen und Autoren, bekommen könnten. Ohne den Umweg über die Zitierten.

"Das Impfkonzept sieht vor, vorrangig die Risikogruppen zu versorgen, also Hochbetagte und Menschen mit Vorerkrankungen", erläutert Ministerpräsident Armin Laschet.

Braucht irgend jemand Armin Laschet, um die Informationen zum Impfkonzept zur Kenntnis zu nehmen? Natürlich nicht.

Streichen wir also die Anführungszeichen – und den Ministerpräsidenten gleich mit!

Präsentieren Sie alle objektiven Fakten selbst, wie jedes andere Ergebnis Ihrer Recherche!

Die goldene Regel für wirkungsvolle Zitate

Klischees und recherchierte Fakten haben in Zitaten nichts zu suchen. Auch dann nicht, wenn Sie sie in einem Gespräch genannt bekommen haben.

Das führt uns zur Fragen, wann Zitate Texten guttun? Hier ist die Antwort:

Packen Sie nur in Zitate, was Sie als Autor oder Autorin nicht selbst sagen können: die Meinung der Zitierten, Provokationen, Beleidigungen, Versprecher und Prognosen!

Solche Zitate sind es wert, gelesen zu werden. 

Alle anderen kosten Leser.

Rudi Völler

"Zu 50 Prozent stehen wir im Viertelfinale, aber die halbe Miete ist das noch lange nicht!“

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