April 16, 2022

Grafik: y-Achse: Herausforderungen X-Achse: Fähigkeiten Der Flow entsteht dort, wo beides im Gleichgewicht ist.

Auf den Schreibfluss können Sie lange warten. Von alleine kommt der Flow beim Schreiben nicht in Gang. Sie müssen ihn herbeiführen! 

So fühlt es sich an, wenn mich der Schreibfluss fortreißt:

Meine Fingerkuppen prasseln auf die Tastatur. Die Sätze sprudeln nur so aus mir heraus. Der innere Kritiker hat Sendepause. Alles fühlt sich richtig an.

Es läuft, ich lasse es zu, gebe mich hin – und ich genieße es. Ehe ich weiß, wie mir geschieht, steht das Manuskript. Und es ist gut!

Ein Text aus Freude geboren, geschrieben im Rausch.

Bereiten Sie das Bett für Ihren Schreibfluss!

Früher war es vom Zufall abhängig , ob sich dieser Zustand einstellte. Heute kann ich den Schreibfluss herbeiführen. Nicht immer, aber immer öfter. Und Sie können das auch.

Der aus Ungarn stammende Psychologie-Professor Mihály Csíksentmihályi gibt handfeste Tipps.

Csíksentmihályi erlebte den zweiten Weltkrieg als Kind. Er sah, wie der Horror des Krieges die Erwachsenen in die Knie zwang. Fasziniert blickte er auf die Ausnahmen: Menschen, die im seelenzermalmenden Kriegsalltag regelmäßig Minuten oder gar Stunden des Wohlgefühls zu erleben schienen.

Wie war das möglich? Csíksentmihályi entdeckte, dass diese Menschen ihr Glück im Tun fanden. Sie versenkten sich in Arbeit, ins Musizieren, ins Malen oder in eine andere Beschäftigung. So tief, dass sie sich und die Welt vergaßen.

Diesen Zustand zu erforschen, machte Mihály Csíksentmihályi zu seinem Lebensinhalt. Er nannte ihn den Flow. Und er fand fünf Voraussetzungen dafür, dass sich das Flow-Erlebnis einstellt.

Grafik: y-Achse: Herausforderungen X-Achse: Fähigkeiten Der Flow entsteht dort, wo beides im Gleichgewicht ist.
Da kommt Freude auf: Der Schreibfluss verläuft an der Grenze zwischen Angst und Langeweile. Dort, wo Ihre Schreibskills genau zu der Schreibaufgabe passen, die Sie zu bewältigen haben.

Erste Bedingung für den Flow: ein lohnendes Ziel und klare Etappen-Ziele

Wenn ich einen Text schreibe, habe ich zunächst fast nie ein klares Ziel. Ich kenne mein Thema und den Termin für die Abgabe, vielleicht ist mir auch noch die Zeichenzahl vorgegeben.

Der Rest ist Chaos: unfertige Ideen, Gedankenfetzen, löchrige Informationen zum Thema und zur Zielgruppe.

Ich wette, Ihnen geht es oft genauso. Was also tun?

Als Erstes machen Sie sich klar, für wen Sie diesen Text schreiben! Was interessiert diese Menschen an Ihrem Thema? Welche Fragen stellen sie? Was wissen sie? Was wissen Sie nicht? (Wie sie das herausfinden, lesen Sie in meinem Blog-Artikel "Persona definieren ist besser".)

Klären Sie auch, mit welcher Absicht Sie schreiben! Wollen Sie informieren, verkaufen oder unterhalten?

Jetzt wissen Sie, für wen Sie schreiben, und was Ihr Text bei diesen Menschen bewirken soll. Mit anderen Worten: Sie haben ein Ziel vor Augen.

Ohne solch ein Ziel, sagt Csíksentmihályi, kommt der Flow nicht zu Stande.

Er fand zudem heraus, dass der Weg zu diesem Ziel in Etappen freudvoller zu bewältigen ist. Beim Schreiben sind es vier, jede dient einem eigenen Unter-Ziel:

  1. Etappen-Ziel: ein lesenswerter Inhalt
  2. Etappen-Ziel: eine wirksame Struktur
  3. Etappen-Ziel: ein möglichst schnell geschriebener erster Entwurf
  4. Etappen-Ziel: ein geschliffener Stil

Das führt uns zur zweiten Voraussetzung für den Flow. 

Zweite Bedingung für den Flow: eine klare Handlungsstruktur

In den Schreibfluss kommen Sie, wenn Sie wissen, was zu tun ist – und in welcher Reihenfolge. Sie brauchen einen Fahrplan. Die Stationen dieses Fahrplans kennen Sie bereits: die vier Etappen der Textproduktion. Der Trick besteht darin, eine nach der anderen anzusteuern.

Nicht alle gleichzeitig!


Erste Etappe: Inhalt auf den Punkt bringen

Ihre erste Aufgabe besteht darin, einen lesenswerten Inhalt für Ihren Text zu finden. Die Leseforschung zeigt, dass daran viele Autorinnen und Autoren scheitern. Es gelingt ihnen nicht, ihr Publikum im Titel und Vorspann von ihrem Inhalt zu überzeugen.

Ihre Leserinnen und Leser fragen sich vor der Lektüre:

  • "Worum geht’s?
  • "Warum soll ich das jetzt lesen?" 

Machen Sie sich erst auf den Weg zum zweiten Etappen-Ziel, wenn Sie überzeugende Antworten auf diese Fragen haben!


Zweite Etappe: Gliedern

Ihre zweite Aufgabe lautet: Bringen Sie den Inhalt in Ordnung! Spannen Sie den roten Faden von einem Meilenstein zum nächsten so, dass Ihr Publikum ihm mühelos folgt. Und spannen Sie ihn so, dass es dort ankommt, wo Sie es haben wollen.

Form follows function: Ein Protokoll gliedern Sie anders als eine Salespage oder eine Reportage. Machen Sie sich mit den Struktur-Prinzipien für Texte vertraut, die Ihren Zwecken am besten dienen!

Für jede Absicht, die Sie mit einem Text verfolgen, gibt es mindestens eine bewährte Form. Das Trick besteht darin, sie zu kennen. Reines Handwerk!


Dritte Etappe: Schreiben

Jetzt bringen Sie den Text schnellstmöglich in eine Rohfassung. Auf dieser Etappe geht es nicht um Perfektion. Sondern um Speed!

"Write a shitty first draft!", empfehlen amerikanische Schreibcoaches völlig zu Recht. Wie dieser Tipp die Angst vor dem leeren Blatt vertreibt, lesen Sie hier.

Stürzen Sie sich in den Schreibfluss! Stopfen Sie Ihrem inneren Kritiker das Maul und rotzen Sie das Ding runter!


Vierte Etappe: Feinschliff

Erst zum Schluss, wenn das Manuskript mit all seinen Ecken und Kanten vor Ihnen liegt, machen Sie sich an den Feinschliff.

Überarbeiten Sie die Sprache nach allen Regeln unserer Kunst!

ein schwarz-weißes Tintenklecksbild
Texte, die dem Schreibfluss entspringen sind wie Tintenklecksbilder: Produkte aus Struktur und Chaos. Folgen Sie beim Scheiben einem klaren Plan, um das Durcheinander zu ordnen!

Dritte Bedingung für den Flow: volle Konzentration auf eine begrenzte Aufgabe

Jogi Löw forderte von seinen Spielern „högschte Konzentration“. Laut Csíksentmihályi reicht das nicht für den Flow.

Dieser erfordert Konzentration auf eine begrenzte Aufgabe. Die Betonung liegt auf begrenzt!

Richten Sie Ihren Fokus auf ein Etappen-Ziel nach dem anderen! Solange Sie über den Inhalt nachdenken, grübeln Sie nicht über die Struktur. Während Sie das Rohmanuskript runterschreiben, recherchieren Sie nicht und feilen nicht an der Sprache.

Schreiben ist anstrengend. Legen Sie Pausen ein!

Wenn Sie eine Woche Zeit haben für einen Text, brauchen Sie ihn nicht am Stück zu produzieren. Ein, zwei Etappen genügen für heute. Schlafen Sie eine Nacht drüber und freuen Sie sich darauf, morgen weiterzuarbeiten. Ich nenne das Prokrastinieren für Profis.

Vierte Bedingung für den Flow: Ihre Fähigkeiten entsprechen den Herausforderungen

Abgesehen von einer Woche Tennis-Camp, das ich meiner Frau zuliebe durchlitt, als wir noch nicht verheiratet waren und am Bodensee studierten, hielt ich nie einen Tennis-Schläger in der Hand.

Wäre Roger Federer scharf auf ein Match gegen mich?

Natürlich nicht! Es würde ihn zu Tode langweilen.

Was ich damit sagen will? Wenn Schreiben leicht wäre, würde es keinen Spaß machen. Freude kommt auf, weil es schwer ist, und Sie es trotzdem im Griff haben.

Mihály Csíksentmihályi sagt es so: „Freude entsteht an der Grenze zwischen Langeweile und Anspannung. Dort, wo Herausforderungen und Fähigkeiten im Gleichgewicht sind.“

Wenn Sie bei der Arbeit an einem Text nicht in den Flow kommen, gibt es zwei mögliche Gründe: Entweder Sie fühlen sich unter- oder überfordert.

Wenn Sie sich beim Schreiben langweilen, sollten Sie den Schwierigkeitsgrad erhöhen: Geben Sie sich für den nächsten Text halb so viel Zeit wie normalerweise! Stellen Sie das Display ihres Rechners auf Dunkelmodus! Oder schreiben Sie den Text auf Italienisch!

Viel häufiger ist der zweite Grund, nicht in den Schreibfluss zu kommen: Sie fühlen sich gestresst. Weil Ihnen Strategien und Handwerkszeug fehlen, um auf allen Etappen der Textproduktion schnell und effizient hohe Qualität zu liefern.

Der erste Schritt in den Schreibfluss besteht in diesem Fall darin, die Etappe im Schreib-Prozess zu identifizieren, die Sie überfordert. Nun lernen Sie, was nötig ist, um auf dieser Etappe erfolgreich zu sein.

So werden Ihre Texte besser und Sie finden mehr Freude an der Arbeit daran.

Fünfte Bedingung für den Flow: jederzeit klare Rückmeldungen über den Erfolg

Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer meiner Kurse sagen in der Vorstellungsrunde: "Ich bekomme so gut wie kein Feedback. Woher soll ich wissen, ob meine Texte gut sind?"

Diese Leute haben keine Kriterien dafür, ob Ihre Texte funktionieren. So kann Schreiben keinen Spaß machen.

Lassen wir noch einmal den Flow-Forscher zu Wort kommen. Csíksentmihályi schreibt in seinem Buch "Flow - das Geheimnis des Glücks":

"Die meisten unterhaltsamen Aktivitäten sind nicht selbstverständlich. Sie fordern eine Anstrengung, die man zunächst nicht auf sich nehmen will. Sobald die Aktivität jedoch ein Feedback zu den Fähigkeiten der Person liefert, wird sie von sich aus belohnend.“

Für Sie bedeutet das: Damit Ihnen die Arbeit an Texten Freude macht, müssen Sie beurteilen können, ob Sie beim Schreiben auf Kurs sind!

  • Ist Ihre Botschaft interessant für die Zielgruppe?
  • Überzeugt Ihre Überschrift?
  • Erfüllt die Struktur des Textes Ihren Zweck?
  • Ließen sich die Inhalte in lebendigere Worte fassen?

Wenn Sie beim Antworten auf solche Fragen raten müssen, wird sich der Schreibfluss nicht einstellen.

Nur wenn Sie merken, dass Sie beim Schreiben vom Kurs abweichen, können Sie gegensteuern. Dann fängt es an, Spaß zu machen. Denn jede Kurskorrektur ist ein Zwischen-Erfolg auf dem Weg zum vollendeten Text.

Dieses Hin-und-her zwischen Ihnen und Ihrem Text setzt und hält den Schreibfluss in Gang.

Fassen wir zusammen, was nötig ist, damit Sie in den Schreibfluss kommen:

Der Flow kommt nicht von alleine. Sie müssen ihn herbeiführen.

Dazu brauchen Sie ein klares Ziel für Ihren Text und ebenso klare Etappen-Ziele auf dem Weg dorthin.

Gehen Sie diese Etappen-Ziele nacheinander an, folgen Sie dazu immer dem gleichen Plan:

  1. Finden Sie einen Inhalt, für den sich Ihre Leserinnen und Leser interessieren.
  2. Bringen Sie diesen Inhalt in eine nachvollziehbare und wirkungsvolle Struktur.
  3. Bannen Sie den so geordneten Inhalt möglichst schnell in einen ersten Entwurf.
  4. Kümmern Sie sich ganz zum Schluss um die Qualität der Sprache.

Richten Sie Ihren Fokus immer nur auf eine Etappe! Im Idealfall legen Sie nach jeder Etappe eine Pause ein.

Sorgen Sie dafür, dass Sie alles wissen und können, um auf jeder dieser Etappen optimale Arbeit zu leisten.

Dank dieser Fähigkeiten wissen Sie zu jedem Zeitpunkt im Schreibprozess, ob Sie auf Kurs sind.

Bei Bedarf steuern Sie gegen.

So entsteht, während Sie schreiben, eine Interaktion zwischen Ihnen und Ihrem Text – das bringt und hält den Schreibfluss in Gang.


Wie kommen Sie in den Schreibfluss? Was hält Sie davon ab? Schreiben Sie's gern in die Kommentare! Ich antworte in jedem Fall!

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